Sonntag, 27. Oktober 2013

Der radfahrende Holländer als Massenphänomen

photo credit: via photopin (license)

Man nehme ein paar wie erratisch geführte Straßenzüge, formiere eine pittoreske Kleinstadt darum. Als Zentrum nehme man die VVV-Touristinfo, einen Albert-Heijn-Supermarkt, einen HEMA und einen Schnellimbiss, der Fritten mit Erdnuss-Sauce im Programm hat: Herz, was begehrst du mehr? (Info: Diese Infrastruktur ist bereits vollständig optimiert)
Dann addiert der Niederländer an sich allerdings aber noch Drempels (= »Bremsschwellen«), Kreisverkehre, Verkehrsinseln, abgesenkte Bordsteine, Schilder, Radspuren, Ampeln, eine absurde Anzahl an Zebrastreifen und vielfältigste, unnachvollziehbare Fahrbahnmarkierungen hinzu. Schon vom bloßen Anblick tränen einem die Augen. Dies alles ist jedoch nur die Leinwand: In dieses Szenario stürzt sich der Niederländer in großer Zahl mit dem *trommelwirbel* Holland-Rad (das mit Korb und bis zu zwei Kindern beladen ist). Nun addiere man noch die Autos, die in die bereits proppenvollen Kreisel drängen. Räder, Menschen, Abenteuer: Aus allen Himmelsrichtungen schieben sich die Radler auf die Kreuzungen, schwärmen aus, biegen ab, drehen ein paar Runden im Kreisverkehr. Der radfahrende Holländer als Massenphänomen (niemand trägt Helm) wimmelt nicht nur wie ein Makrelenschwarm, nein, wie zwei oder mehr Makrelenschwärme! Die Schwärme vereinigen sich oder durchdringen einander. Und noch immer funktioniert alles! Ich komme mit meinem Smart angefahren, versuche auf Radfahrer, Fußgänger an Zebrastreifen, erratische Fahrbahnmarkierungen, auf das Navi und die Kommentare der Beifahrerin zu achten. Doch obwohl meine Aktionen sich nach holländischen Maßstäben sicherlich im Spannungsfeld zwischen unbedacht und beherzt bewegen, hört man keine Fahrradglocke oder jemanden Grobes rufen. Nein, alle Holländer passen auf dich, auf sich und auch aufeinander auf, so dass man durch dieses sagenhafte Tohuwabohu hindurchgeleitet wird, quasi hindurchflutscht wie ein Neutrino durch Blei. Etwas, was in Deutschland zu Testosteron-Konflikten, Beschimpfungen, Stress und größeren Kontingenten schlechter Laune führen würde, das fällt in Holland nicht einmal auf!
Erwähnte ich schon, dass ich dieses Land und diese Leute/Mentalität liebe?

Nur manchmal, da kann man im Rückspiegel den gefürchteten Hollandrad-Tornado erblicken. Der entsteht unter ganz spezifischen physikalischen Bedingungen dann, wenn bei trockener Luft Hollandrad-Schwärme aus mindestens fünf Richtungen eine Art Sog oder Kreisel erzeugen. Das Ganze türmt sich dann wirbelnd und voll der statischen Elektrizität zu einem hunderte Meter hohen Hollandrad-Rüssel auf, schwarz, blitzzuckend und beängstigend. Da kann man dann froh sein, bereits in das nächste Kreisverkehrgewimmel eingetaucht zu sein.