Mittwoch, 24. Dezember 2014

Wunder der Weihnachtszeit 4

photo credit: Kotah and Santa in the Evening via photopin (license)
Heiligabend bin ich zur Mittagszeit im Geniesel kurz zum EDEKA gelaufen, die Reste besorgen. Am Fuße der Rathaus-Galerie in Wuppertal-Elberfeld begegneten mir zwei alte Frauen mit nikotingegerbten Pekinesengesichtern. Sie husteten beide was das Zeug hielt und würgten dabei offenbar faustgroße Klumpen Sputum aus den Untiefen ihrer Lungen nach oben. Es klang wie "Der Zauberberg", letztes Kapitel
"Raucht euch mal eine!", murmelte ich für sie unhörbar.
Eine der beiden hatte fertig gewürgt.
"Wir müssen noch Zigaretten kaufen!", sagte sie zu ihrer Mithustenden mit John-Wayne-Synchronstimme.
Yay!
War ich nicht gerade in diesem allerprofansten Moment Zeuge des Wunders der Vorweihnachtszeit geworden?
Wunder schafft die Weihnachtszeit.
Vor dem Dorf, darin verschneit
jeder Hof und jedes Haus,
Vogelbeerbaum, Nacht für Nacht
hundert Lichtlein trägt, entfacht,
die da leuchten weit hinaus.
Achtet seiner Herrlichkeit
niemand auch im Wintergraus,
bläst der Wind doch keins ihm aus,
alle strahlen dicht gereiht -
Wunder schafft die Weihnachtszeit.

(Martin Greif, 1839 - 1911)
Meine Güte!


Mehr "Wunder der Vorweihnachtszeit": hier.


Mittwoch, 17. Dezember 2014

Die Zukunft

photo credit: Man holding object via photopin (license)
In meiner Kindheit war ich umgeben von 60er-Jahre-Büchern wie "Das neue Universum", deren "Themenwahl und inhaltliche Gestaltung (sich) durch einen starken Zukunfts-, Wissenschafts- und Machbarkeitsoptimismus aus(zeichnete)" (Link). Kaum ein Titelbild, das nicht einem Aspekt der Raumfahrt gehuldigt hätte. Das war die Zukunft! Der Held meiner Jugend war James T. Kirk. Als ich als Schüler, um 1980 befragt, mir die Zukunft des Jahres 2000 vorstellen sollte, gab es in dieser fernen Zukunft natürlich eine Station auf dem Mond und eine auf dem Mars, mindestens. Der Kontakt zu Außerirdischen war zu diesem Zeitpunkt fast schon gezwungenermaßen eingetreten. Ich las dutzende und aberdutzende Romane wie "Der Mond ist eine herbe Geliebte" von Robert A. Heinlein (Link), "Wasser für den Mars" von Isaac Asimov (Link) und Ray Bradburys "Mars-Chroniken" (Link).
So würde die Zukunft werden!

Doch da die NASA aber aus Kostengründen seit 1972 keinen Menschen mehr auf den Mond geschweige denn auf andere Himmelskörper gebracht hatte, wandte sich die SF bald anderen, inneren Themen zu – Cyberpunk & Cyberspace. 1982 erschien die noch heute absolut sensationelle Kurzgeschichte "Chrom brennt" (Link) von William Gibson, ein Meilenstein. Das Cyberspace war geboren, Gehirn und Maschine gehen in absehbarer Zeit eine nicht immer ungefährliche Beziehung ein. Das war die Zukunft! Im gleichen Jahr brachte Intel seinen 286er Prozessor auf den Markt (Link), der bis in die frühen 90er gebaut wurde, Disney brachte "Tron" (Link) in die Kinos. Ich las dutzende und aberdutzende Romane wie die "Neuromancer-Trilogie" von William Gibson (Link), "Snow Crash" & "Diamond Age" von Neil Stephenson (Link) und Walter Jon Williams "Hardware" (Link).
So würde die Zukunft werden!

Dann kam alles anders. Das SF-Genre wanderte weiter. Jetzt, in Zeiten, in denen Kühlschränke eine IP-Adresse haben und Handys einen Vierkernprozessor, soll eines Tages am Horizont der beständigen, sich beschleunigender Entwicklungen die Singularität (Link) aufscheinen. Dies ist der Augenblick zu Bewusstsein kommender künstlicher Intelligenzen, die bei dem ganzen Fortschrittsgedöns quasi zusätzlich noch die Turbo-Taste drücken, sodass ein "Danach" im völligen Vorhersage-Dunkel liegen muss. Das war die Zukunft! Außerdem hatte Mitte 2014 erstmalig die Maschine "Eugene Goostman" den Turing-Test bestanden (Link). Ich verschlang die Bücher des britischen Autors Charles Stross, allen voran den Kick-Ass-Technologieroman "Accelerando" (Link).
So würde die Zukunft werden!

OK, ich geb's zu, ich habe mittlerweile den Verdacht, dass auch das nichts werden wird.

Die Briten haben schon ein neues SF-Genre in der Mache, die "mundane Science Fiction" (Link). Dabei handelt es sich um eine realtiätsnähere SF als die der vergangenen Jahrzehnte. Man gibt sich erschreckend realistisch: Es wird (wegen Einstein) keine interstellare Raumfahrt geben, deshalb wird es auch nicht zu einer Kontaktaufnahme mit Außerirdischen kommen (weil die auch nicht da wegkommen, wo sie gerade sind, wenn es sie überhaupt gibt). Und Parallelwelten sind auch gestrichen. Konsens: Machen wir uns nichts vor, wir sitzen hier fest. Diese SF prognostiziert nur das Mögliche. Oder man geht dabei sogar so weit wie William Gibson, der gereift, nunmehr statt der Zukunft in seiner aktuellen Bigend-Trilogie nur noch "die Gegenwart vorhersagt" (Link). Ironischer- oder konsequenterweise sind die Bände dieser Trilogie (Mustererkennung, Quellcode, System Neustart) Stand 12/2014 nicht einmal als Kindle-E-Book erhältlich, sondern nur als gutes, altes Buch.

Um den großen Karl Valentin zu zitieren: "Die Zukunft war früher auch besser".


Ein Labsal: http://vimeo.com/108650530


Sonntag, 14. Dezember 2014

ru 25 history 51: Telefonieren

photo credit: Nostalgia ! via photopin (license)
Von 1974 an gab es für "günstiges Telefonieren" den sog. "Mondscheintarif" (Wikipedia). Der führte ab 18.00 Uhr zu Schlangen an den Telefonzellen und allgemein zu so hohem Gesprächsaufkommen, dass ganze Ortsnetze nicht mehr erreichbar waren. Deshalb schaffte ihn die Post 1980 wieder ab -- wegen des großen Erfolges. Is klar. Später gab es ihn dann unter der Bezeichnung Moonshine-Tarif wieder. Die Spinner.
Das Telefonieren kostete zwischen dem 3. Januar 1980 und Heiligabend 1988 werktags von 8–18 Uhr 0,23 DM je 8 Min und die übrige Zeit 23 Pf je 16 Min.
Liebe Post: Das waren ja je nach Uhrzeit 7,5 oder 3,75 Takte die Stunde zu je 0,23 DM, was 1,73 DM oder 0,86 DM entsprach -- das habt ihr Penner doch mit Absicht gemacht, dass sich das kein Schwein merken oder nachvollziehen konnte, oder?
In den 80ern haben wir auf jeden Fall immer Hektik am Telefon gemacht. Denn keinesfalls durfte nämlich die Telefonrechnung zu Hause die magische Grenze von 50,00 DM pro Monat überschreiten, sonst wäre Tango gewesen. Dann wäre ein Wählscheibenschloss ans Telefon gekommen, wie immer gedroht wurde.
Die Telefonnummern meiner Freunde, die von Tante und Oma und die von zu Hause hatte ich alle im Kopf -- Kunststück, die Telefonnummern meiner Kindheit waren allesamt vierstellig. Wir hatten zu Hause 5411. Am grünen Wählscheibentelefon im Wohnzimmer meiner Eltern wählte ich die 4 ratratratrat, 3 ratratrat, 0 ratratratratratratratrat, 3 ratratrat. Und nach dreimal schellen (und es war eine "Schelle") hatte ich im Idealfall meinen Kumpel Michael am Telefon, oder seine Mutter, die mich dann weitergab. Wir verabredeten uns in der Stadt und wenn einer von uns beiden mal nicht pünktlich am Treffpunkt war, dann wartetet man eben so lange, bis der andere aufschien. Niemand wäre auf die Idee gekommen, jetzt in schneller Folge vier oder fünf Postkarten rauszuhauen, Inhalt: "Wo bleibst du?" und 17 Sekunden später: "Ich warte seit 5 Minuten!"
Die Wartezeit verbrachte man stattdessen damit, Ortsfremden, die mit ihrem 5 kg schweren Autoatlas von 1972 nicht weiterkamen und mit ihrem 1969er Opel Rekord am Rand hielten, den Weg zur Landessportschule zu erklären.
Irgendwann kam der Kumpel dann auch mal angeschlappt auf seinen Adidas Allround.
Und wenn nicht, dann ging man eben wieder nach Hause.