Sonntag, 19. Juli 2009

Heimat 1 - Geschnitten, nicht am Stück

In 42477 Radevormwald lebe ich seit meiner Geburt, inmitten der grünen Hügel des Bergischen Landes. Bis vor kurzem hielt ich es für einen uninteressanten, unspektakulären 23.426-Seelen-Ort. 42 Jahre lang habe ich das gedacht. Nun, eine Stadt, in der es diese Überschrift auf die Titelseite des Lokalteils der Bergischen Morgenpost schafft (13.07.09), kann einen eigentlich nicht mehr überraschen: »Elfjähriger bricht sich beim Radfahren den Arm.«
So dachte ich.
Wie ich mich geirrt hatte!
Doch erst einmal zum beliebten Radevormwald-Frage- und Antwortspiel. Viele, die nicht in dieser verregneten Ecke der Republik leben, haben den Ortsnamen irgendwann schon einmal irgendwo gehört. Sie waren nur nicht davon ausgegangen, dass es sich um ein einziges Wort handelt.
»Am Stück?« ist der häufigste Ausruf des Erstaunens darob von Himpelchen oder Pimpelchen.
»Oui. Nicht geschnitten, am Stück.«
Die nächste, meistgestellte Frage ist: »Warum lebst du noch da?«, wobei die Worte ›noch‹ und ›da‹ überaus betont ausgesprochen werden, der Sprecher sich aber nicht wirklich darauf einigen kann, welches der beiden Worte er stärker betonen soll als das Andere.
Was soll ich sagen? Ich hatte seit jeher gedacht, dass das Schicksal mich eines Tages an andere Gestade spült, allerdings ist Karma de facto ein launisches Luder. Als Killer-Argument trumpfe ich mit meinen 190,00 EUR Miete für die 49 m²-Wohnung auf. Die häufigste, total entrüstete Frage, die dann kommt, ist: »Aber doch bitte kalt, oder?«, »Ja«, antworte ich gemeinhin, »aber mit Garten. Und Parkplatz vor der Tür. Und nur 11 km bis zur Arbeit.«
»Und was machst du denn da so?«, wird die nächste Frage abgespult.
»Wohnen. Einkaufen. Kino«, erwidere ich.
»Aber weggehen und Freunde treffen kann man da ja wohl nicht?«, fragt dann Himpelchen oder Pimpelchen suggestiv.
»Weggehen und Freunde treffen mache ich alles in Wuppertal.«
»Aha«, sagt dann einer der beiden, was in der Regel dann nicht sehr überzeugt klingt.
So stereotyp verliefen diese Gespräche immer, bislang.
Doch dann hat sich mein gesamtes Weltbild verändert.
Durch bloßen Zufall bin ich darüber gestolpert, dass an genau diesem Ort vor 46 Jahren eine spektakuläre Erfindung gemacht worden ist. Eine Erfindung, ohne die die Moderne, wie wir sie kennen, vielleicht nie stattgefunden hätte. Voller Stolz darf ich es verkünden: Anno 1963 hat Friedhelm Selbach in Radevormwald den elektrischen Currywurstschneider erfunden.
Geschnitten, nicht am Stück, Baby!!!
Wer hätte jetzt nicht das typische Röngel-döngel-döngel im Ohr?
Wenn mich nun Himpelchen oder Pimpelchen noch mal fragen sollten, warum ich da noch lebe, dann kann ich ihnen entgegenschleudern: »Weil dort eine große Erfindung gemacht worden ist, die auch dein Leben verändert hat!«
Ich denke, das wird in Zukunft als Erklärung voll und ganz ausreichen.

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