Samstag, 12. Dezember 2009

ru24 Mysterium 3/Heimat 9: Voodoo

Als ich in meine Wohnung zog, wohnte unter mir ein Herr. Der Herr war Ende 50, allein stehend, er war Träger einer mächtigen Jaruzelski-Hornbrille und trug, wenn er in den Garten ging um etwas auszuzupfen, einen Cord-Hut mit Delle und einen grauen Kittel. Alles in allem sah er aus wie "der Trainer" (Link), der Kumpel von Herbert Knebel. Sobald er den Garten betrat, stöpselte er einen Kassettenrecorder an den Hausstrom. Dieser spielte dann auf Auto-Reverse urdeutsche Volksmusik. Wenn ich mein Küchenfenster "auf Kipp" hatte, was im Sommer quasi immer der Fall war, dann drang "Im Grunewald ist Holzauktion" zu mir herauf und fraß an meinem Gehirn. Dann kam der "Zillertaler Hochzeitsmarsch", danach die "Bergvagabunden" und "Unter dem Doppeladler". Um mein Gehirn in Sicherheit zu bringen, seine strukturelle Integrität zu wahren, musste ich das Fenster schließen, geradezu ideal um zu schwitzen und ein bisschen zu ersticken.
Die Hochsommer-Wochenenden waren am schlimmsten!
Eines Tages stand ich am mal wieder geschlossenen Fenster und starrte mit blutunterlaufenen Augen in den Garten, der unter einem perfekten, blauen Himmel da lag. Zwei Kohlweißlinge gaukelten durch die Luft. Alle Rasenflächen waren perfekt manikürt. Der Herr Nachbar hatte eine Leiter an sein rustikales Gartenhäuschen gestellt, um es neu zu decken. Die Leiter hinauf wankte er nach oben, an der Kante rang er um Gleichgewicht, schwang ein Bein über die Kante, derweil die Leiter den Kontakt zum Dach kurzzeitig verlor, dann eierte er über das Dach, schlitterte von hier nach da, hämmerte herum, stieg dann die kippelnde Leiter wieder hinab.
Von der Arbeitssicherheit her war das ein Traum! Ich beobachtete das eine Weile.
"Fall doch vom Dach und brich dir den Hals, Trottel!", murmelte ich, meinte es aber nicht wirklich ernst. Dann verließ ich das Haus.
Als ich am nächsten Tag heimkam und die Haustür aufschloss, öffnete sich gleichzeitig die Wohnungstür des Herrn, allerdings stand da ein mir fremder Mann.
"Sie sind der Herr M.?", fragte er.
"Ja. Und Sie?"
"Das ist die Wohnung von meinem Bruder. Der ist gestern vom Gartenhäuschen gefallen und hat sich den Hals gebrochen! Er liegt im Krankenhaus!"
Leise spielte im Hintergrund meines Kopfes die Melodie von "Twiligt Zone" (Link).
"Ah!", sagte ich, während mein Rückgrat vereiste, "Gute Besserung!"

Einen Monat später war er tot. Er hatte sich geweigert, sich operieren zu lassen und war im Krankenhaus an einer Bettlungenentzündung gestorben.

Hüte dich vor deinen Wünschen, denn sie könnten in Erfüllung gehen.

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