Mittwoch, 29. Januar 2014

Queen Mom 27 - Seenotrettungsübung

Unterwegs in der Karibik by Lars Tinner
Unterwegs in der Karibik, a photo by Lars Tinner on Flickr.

In 2005 bin ich mit Queen Mom das erste Mal in Urlaub gefahren. Wir zwei waren auf der AIDA in der Karibik -- not too bad! (In 2009 sind wir nochmal gefahren)
Am zweiten Tag auf der AIDA wurde mit großem Gewese und Gedöns via Durchsage eine Seenotrettungsübung angekündigt, die zur allgemeinen Sicherheit stattfinden sollte. Beim Erklingen des Alarms sollten sich alle Passagiere ZÜGIG an bestimmten Sammelpunkten einfinden.
Das Wort "zügig" soll im Weiteren noch eine größere Bedeutung bekommen.
Queen Mom legte ihr abschätziges Gesicht auf.
"Mein Gott! Weißt du eigentlich, bei wie viel Seenotrettungsübungen ich schon mitgemacht habe?", fragte sie.
Ich konntet mit jetz nicht so vorstellen, schüttelte mitm Kopf.
"Na, das hier ist meine 25. Kreuzfahrt!"
Ich war etwas schockiert, aber so war se, de Mutter. Auf jeden Fall: Respekt!!!
Nach einer Weile ging der Alarm los, eine Durchsage erklärte noch mal für Doofe, was jetzt zu tun sei.
Ich zog mir die Schwimmweste aus dem Kleiderschrank an.
"So, komm, lass uns gehen!", sagte ich zu Queen Mom, reichte ihr ihre Schwimmweste, die sie aber huldvoll ignorierte, erwiderte so etwas wie "Pöh!"
Ich verstand nicht so recht.
QM verschwand im Bad und schloss hinter sich ab.
"Hallo?"
Ich wartete fünf Minuten, bollerte auch schon mal vor die Badezimmertür, von innen kam nur "Pöh!"
Die Schwimmweste war nicht zu bequem. Der Alarm schrillte weiter. Mittlerweile kamen Durchsagen im Stil von "An den Sammelpunkten fehlen noch die Passagiere Mühlinghaus und Wenzel!" Zwei Minuten später fehlten nur noch "die Passagiere Mühlinghaus". Nach weiteren fünf Minuten Alarm kam Mom frisch aufgerüscht, gebürstet und nach 4711 duftend aus dem Bad. Ich war bereits im erweiterten Krisenmodus.
"Nu komm!", schnappte ich.
"Immer mit der Ruhe - die müssen auf uns warten", kam es von der erfahrenen Seereisenden.
Na dann ist ja gut! Ja klar, sollte die Gesamtheit aller Touristen und alle Mannschaftsgrade auf dem Schiff ruhig auf uns warten - auf so etwas stehe ich ja besonders.
Ich legte auch ihr die Schwimmweste an.
Unsere Kabinentür flog auf und besorgte Seenotrettungshelfer quollen herein, erwarteten vielleicht Augenzeuge eines Doppel-Suizids zu werden.
"Wir kommen!", kreischte ich mit überschlagender Stimme.
Doch das war leichter gesagt, als getan, da QM - huldvoll wie sie war - sich keinesfalls hetzen ließ: Mit der Gelassenheit einer Hindu-Kuh schritt sie bei mir untergehakt, wie bei einer Prozession den langen Gang entlang. Derweil tickte die Uhr, schrillte der Alarm. Mit dem Aufzug fuhren wir ein paar Stockwerke, kamen am Sammelpunkt an. Die Gesamtheit aller Touristen dieses Abschnitts und alle Mannschaftsgrade standen sortiert nach Kabinen-Nummer an der Reling und starrten uns entweder wut-, hasserfüllt oder wenigstens fassungslos an. Man hatte sie in ihrer Gesamtheit schließlich für eine geschlagene Viertelstunde als Geisel genommen, da man niemanden wegließ, bis alle vollzählig waren. Ein Jüngling mit Klemmbrett machte die letzten beiden ausstehenden Haken aufs Formblatt und verkündete für alle hörbar: "So, Familie Mühlinghaus ist nun auch endlich eingetroffen."
Nach ein paar abschließenden Worten durften sich alle zerstreuen.
Etliche Menschen kamen an uns vorbei, straften uns mit Blicken, murmelten etwas wie "Unglaublich!"
Queen Mom hatte ihr stoisches Gesicht aufgelegt - solches Gebaren ihrer Mitmenschen wurde von ihr nicht einmal ignoriert.

Als wir wieder im Gang zu unserer Kabine unterwegs waren, sagte sie: "Siehst du, ist gar nix passiert, die mussten ja auf uns warten!"
Sicher, sicher.


Mehr "AIDA mit QM": Blogbeiträge


Freitag, 24. Januar 2014

Tipp aus dem Stasi-Museum

NSA_Field_Station_006 by Sven_71
NSA_Field_Station_006, a photo by Sven_71 on Flickr.

Fun-Fact: Wer im Stasi-Museum Berlin mit dem privaten Handy telefoniert oder eine SMS schreibt, wird mit dem allergrößten Selbstverständnis abgehört.
Von den Amis und den Briten.

Natürlich sitzt da keiner mehr wie Ulrich Mühe seinerzeit im Kabuff ("Das Leben der anderen"), hört sich alles an und macht sich mit Bleistiftstummel und Kladde seine Notizen. Denn dazu müssten die amerikanischen Geheimdienste ja eine zweite Erde im Keller haben und jeder der 7,2 Milliarden Bewohner dort jobbt wacker als Stasi-Scherge.
Da diese total verlockende Aussicht leider nicht zu realisieren ist, müssen stattdessen mathematische Algorithmen die Hekatomben an Gelaber und pubertärem SMS-Geschreibsel, geWhatsAppe und ge-E-Maile nach Verdächtigem durchwuseln.

Das Budget nur der USA für Geheimdiensttätigkeit beträgt insgesamt 50 Milliarden US$ per Anno.
Doch manchmal ist weniger mehr.
Vielleicht stellen die Geheimdienste (NSA, MI6 & Co.) den allzu bemühten Brute-Force-Versuch der Vorab-Entdeckung von Terror-Spacken mal ganz ein -- klappt ja eh nicht, wie man prima am Bostoner Marathon-Massaker sehen kann.
Vielleicht nutzt man stattdessen das Hinschmalz von 100.000 Analysten und 100 Super-Duper-Computern ein bissi sinnstifender dafür, aus dieser Welt einen lebenswerteren Ort zu machen -- dann hört das Terror-Gespacke nämlich ganz von selbst auf -- total die Überraschung!
Ist nur ein Tipp.


Montag, 20. Januar 2014

Automobiles 21: Der Wille zur Fortbewegung

London traffic lights - t2i by @Doug88888
London traffic lights - t2i, a photo by @Doug88888 on Flickr.

Als Smart-fortwo-Fahrer bin ich nicht gerade das, was man als "Raser" bezeichnet. Und doch begenet mir jeden Tag mindestens eine Krücke, die den ganzen Verkehr aufhält. Hier fehlt einigen Menschen ganz ernstlich der Wille zur Fortbewegung. Ich habe keinen Schimmer, warum die mit ihren Ford Fusion oder sonstigen Kack-Karren eigentlich unterwegs sind -- ums irgendwo Ankommen scheint es nicht zu gehen. Und wenn die Lenker diese Verkehrshindernisse zum Genuß der Morgen- oder Abendröte unterwegs sind -- ich für meinen Teil bin nicht zum scheiß Spaß on the road.
Es lassen sich folgende Kategorien ermitteln:

Muddi: "Unfallfrei bis ins Grab", so lautet die Devise seit dem ersten Wagen zum Einser-Abi. Das wird durch das Unterschreiten der Höchstgeschwindigkeit von mindestens 20%, an Blitzern um 30% erreicht. Ampeln werden bereits aus langen Distanzen so lange ausgebremst, bis sie ein zufriedenstellendes Rot zeigen.

Vaddi: "Lieber langsam unterwegs als im Büro/zu Hause/etc.", so lautet die Devise. Mit mediterraner Gelassenheit demonstriert dieser Fahrer, dass zumindest er nirgendwo zeitnah eintreffen muss. Versucht jemand zu überholen, erwacht der Machismo des Fahrers wenigstens so lange, dass er das Manöver durch kurzes Beschleunigen verunmöglicht, danach verfällt er wieder in den Dreizehenfaultier-Modus.

Greis: "Ich seh nix". Wer nichts sieht, keinen Schulterblick mehr machen kann und Reaktionszeiten von bis zu 3 Sekunden hat, fährt zur Sicherheit mal was langsamer. Adolf Hartmann hat bei seinem Seh- und Reaktionstest 1944 hervorragend abgeschnitten, deswegen ist er auch in 2014 noch unterwegs. So lange er niemanden totfährt, sondern nur verstümmelt, darf er seinen Führerschein behalten. Sicher, sicher.

Ortsunkundiger: "Wenn ich nicht weiß, wo ich gerade bin, fahre ich eben Schrittgeschwindigkeit": "Unhiesige" haben naturgemäß sehr oft keinen Schimmer, wo sie gerade sind. Navis sind ja auch nur für Lappen. Und fragen kann man ja auch keinen. Besser, sie fahren so langsam, dass sie während der Fahrt durchs Fenster Blumen pflücken können. So kommen sie zwar nirgends an, verschlimmern ihre Situation aber auch nicht signifikant.

Stadtwerke: "Wir fahren zum Grillen, es ist aber erst 10.30 Uhr". Die Mitarbeiter der Stadtwerke müssen ihren Arbeitstag ja irgendwie rumbringen. Mit 25 km/h von A nach B zu gondeln kann dabei helfen.
Als einziger legitimer Nachfolger des kontemplativen Lebens mittelalterlicher Klöster sind die Stadtwerke die letzte Bastion dieser Arbeitsweise.


Dienstag, 14. Januar 2014

Restaurantkritik 6: Vapiano Wuppertal


photo credit: ifranz via photopin cc
"Der Name Vapiano leitet sich aus dem italienischen Sprichwort: »Chi va piano va sano e va lontano« ab. Das heißt auf Deutsch: Wer alles im Leben locker und gelassen angeht, lebt gesünder und länger." (Vapiano über Vapiano)
In Wuppertal hat Ende 2013 ein Vapiano eröffnet. Es handelt sich um "ein deutsches Unternehmen der Systemgastronomie, das italienische Speisen nach dem Fast-Casual-Prinzip anbietet" (Wikipedia).
"Fast Casual", das ist ist quasi "Fast Food, aber mit Wohlfühl-Socken".
Sicher, sicher.
Menschenmassen pilgerten von nun an zu diesem Ort, Parkplätze wurden umkämpft, es wurde um Warteschlangenplätze vor dem Eingang gestritten, es kam zu Oberarm-Konflikten zwischen Body-Buildungsbürgern.
Im Januar 2014 beschlossen auch wir, mal zu viert dort hinzugehen.
Am Eingang bekommt jeder von einem Mädchen eine Chipkarte, auf die der gesamte Verzehr aufgebucht wird. Das Ambiente ist modern und aufgeräumt (wenn man sich das Heuschrecken-Gäste-Gewusel wegdenkt). Dann ist man mitten drin im Gewusel der Massen. Falls man einen Sitzplatz findet, kann man sich dann für Pizza oder Pasta oder Salat an verschiedenen Schlangen des Tresens der "Showküche" getrennt für Pizza, Pasta, Salat anstellen. Alkoholische Getränke wie Bier, aber auch Nachtisch gibt es an einem Bar-Tresen, sodass man öfter mal Schlange stehen muss, bis man alles zusammen hat. Wer Pizza bestellt, bekommt einen handygroßen Funkmelder mit, der blinkt und vibriert, sobald die Pizza abholbereit ist.
Die Arbeit hinter dem Tresen der "Showküche" hat etwas von einer Vorhölle, es wirkt wie "McDonald's-Tresenkräfte im x2-Bildsuchlaufmodus". (Ich denke, dass verbrauchte, ausgebrannte Mitarbeiter aus dem Vapiano ausgeworfen werden wie rauchende, leer geschossene Hülsen aus einer Schrotflinte. Das Firmenmotto muss für die hier Angestellten ein ziemlicher Hohn sein.)
Nachdem alle Gäste nun hinreichend lange Schlange gestanden haben, nach Möglichkeit jeder in mehreren, parallelen Schlangen, trudeln die vier Restaurantbesucher nach und nach am gemeinsamen Sitzplatz ein, ihr Kantinen-Tablett aus Blech in Vorhalte.
Frage: Isst man, wenn es noch warm ist, aber die Anderen noch nicht da sind? Oder essen alle erst, wenn der Letzte ankommt? In diesem Fall wäre das Essen des ersten am Tisch Eintreffenden insgesamt nur noch zwei Grad wärmer als ein Speiseeis.
Als wir die Lokalität verließen, stellte ich verblüfft fest, dass ich mittels dieses ganzen vollkommen aberwitzigen Aufwandes (auf beiden Seiten) eine Pizza (3-), ein Bier (OK) und einen Nachtisch (4+) zu mir genommen hatte. Die Endsumme für die letztendlich bestenfalls arg durchschnittlichen Gerichte war OK.

Fazit:
Das ist wohl eher was für die Mittagspause. Abends, wenn es "schön/romantisch/feierlich etc." sein soll, geht man doch lieber zu einem "richtigen Italiener", da bekommen auch alle ihr Essen (fast) gleichzeitig und das Ambiente ist gemütlich bis familiär. Und da kann man im Gegensatz zum Vapiano auch reservieren.
Zusätzlich zu dem ganzen Geraffel stellen die Vögel dort auch noch ihre Pasta selbst her und züchten ihre eigenen Kräuter, als hätten sie nicht schon genug zu tun. Irgendwie wirkt der Laden auf mich wie eine gastronomische Rube-Goldberg-Maschine (Wikipedia), welche
"... mit Absicht eine bestimmte Aufgabe auf zahlreichen unnötigen Umwegen und in komplizierten Einzelschritten auf umständliche Art und Weise ausführt." (a.a.O.)

Mehr Restaurantkritik: Blogbeiträge
Tipp: Die bizarren Leserkommentare zur Eröffnung des Vapiano: Link


Donnerstag, 9. Januar 2014

+++ Breaking News: Peter Jackson erlangt Filmrechte an "Schneeweißchen und Rosenrot" +++

Snow White and Rose Red by GettysGirl4260
Snow White and Rose Red, a photo by GettysGirl4260 on Flickr.

Yay!!! Peter Jackson wird "Schneeweißchen und Rosenrot" als 540-Minuten-oder mehr-Dreiteiler verfilmen! Der Titel des neuen Milliarden-Franchise wurde bereits geleakt: "Four Sisters" (= "Vier Schwestern"). Wie das Studio verlauten ließ (und der Titel bereits ahnen läßt), werden insgesamt weitaus mehr Protagonisten als nur Schneeweißchen, Rosenrot, die Mutter, der Bär und der Zwerg mit von der Partie sein. "Beim Hobbit haben wir es doch auch so gemacht!", lacht Jackson. Die Rede ist nun von zusätzlichen Schwestern (Moss-Green und Pinky-Winky), zusätzlichen Hausbewohnern (Onkel Hank, Vetter It, Hexe Enxis u.a.), mehr verzauberten Tieren (Albert das Alpaka u.a.), viel mehr Zwergen und vor allem Kreaturen wie Yetis, Vampire und Werwölfe.
Wie jetzt bekannt wurde, hat für die Rolle des "Onkel Hank" bereits Dean Norris ("Breaking Bad") unterzeichnet! Und die Sensation: Der Bär wird von Hugo Weaving ("V wie Vendetta") gemimt! Weaving stand für Jackson ja schon bereits einige Male vor der Kamera ("Elrond" in HdR, DkH). Ungewiss ist es aber noch, ob wirklich Emily Browning ("Sucker Punch") alle vier Schwestern verkörpern wird. Andere Gerüchte sprechen von Chloë Grace Moretz ("Kick-Ass").
Der erste Teil (Four Sisters: Missing in Action) soll Anfang 2017 in Neuseeland abgedreht werden und Winter 2018 (in Urst Ultima 3D++) in die Kinos kommen. Die Teile 2 und 3 folgen jeweils ein Jahr später, nämlich Dezember 2019 und 2020.
Ein Höhepunkt des Jahres 2021 wird die in den Handel kommende Collectors Big-Box mit dem Director's Cut plus Audiokommentaren, den fehlenden ca. 300 Szenen sowie einem ausführlichen "Making of" sein (total 1.700 Minuten = 1,2 Tage).

Für das gesamte Four-Sisters-Franchise rechnet man bis Ende 2021 mit Einnahmen von 3,66 Milliarden US$.


Sonntag, 5. Januar 2014

Nachbarn


Nachbarn hatten wir, als ich Kind und Jugendlicher war, wie Sand am Meer. Es geht um den Zeitraum "Ende der 60er" bis "Mitte der 80er". Nachbarn wohnten quasi in jeder Himmelsrichtung (incl. "oben"). Für meine Eltern war das eine richtige "Nachbarschaft". Für mich und meinen Bruder handelte es sich bei der Ansammlung von (i.d.R.) niederträchtigen, tratschenden, widerlichen Waschweibern um ein Pandämonium!
Hier wurde man 24/7 bespitzelt! Diese Nachbarn waren der Feind!


Frau Wörner, die bei uns im Haus wohnte, war ein prototypischer Hausdrache. Sie führte sich auf, als gehöre ihr der Laden, Grund: sie wohnte ja mit ihrem Mann bereits seit dem Krieg in der gleichen Zweizimmer-Butze ohne Bad. Dies schuf den hinreichend royalen Hintergrund, um sich aufzuführen wie Thurn & Taxis feat. Else Kling (Link). Der Gatte (Willi), der über 50 Jahre urst brutal unter dem Pantoffel gestanden hatte, eman(n)zipierte sich nach seinem Schlaganfall für alle überraschend. Am überraschtesten war wohl die Gattin selbst, denn Willi bekämpfte den alten Drachen notfalls auch mit der Bratpfanne - strike! Ein ganz wunderbares Beispiel dafür, dass Karma zum Bumerang werden kann.

Teskes: Das Ehepaar Teske hatte bis Anfang der 80er eine PIMPI-Tankstelle genau gegenüber von unserem Haus. Als Kind stellte ich mir immer vor, dass sie eines Tages explodiert wie bei "Die Vögel" und alles im Umkreis den reinigenden Flammen übergeben wird. Vorher machte die Tankstelle mit den zwei Zapfsäulen und dem 2,88 m² Verkaufsraum indes dicht. Da Willi Teske es gewohnt war, immer alles im Blick zu haben, schwebte von jetzt an sein von Krankheit madenartig aufgedunsener Schädel wie ein fahler Ballon hinter dem Fenster im ersten Stock. Wann immer wer-auch-immer zu Hause ankam oder das Haus verließ, allzeit verfolgte ihn der geisterhafte, blasse Maden-Ballon -- buchstäblich wie der Fluch in einem japanischen Horrorfilm.

Der Metzger. Wie im Film "Delicatessen" hatte der Metzger keinen Namen, er wurde nur "der Metzger" genannt. Der gekachelte Verkaufsraum war etwa so groß wie eine kleine Eisdiele und hatte eine Mörder-Akustik. Das hinderte den allzeit rotgesichtigen Fleischerei-Fachverkäufer nicht daran, stimmlich jederzeit alles zu geben: Der Kunde an sich wurde mit überbordender Freundlichkeit in Grund und Boden gebrüllt: "JAAA!!! UND AUSSERDEM??? NOCH ZERVELAT??? JA!! GERNE, SEHR GERNE!!!... UND AUSSERDEM??? " Mein jüngerer Bruder beschloss eines Tages aufgrund seines großen Unbehagens, dort einfach nicht mehr hinzugehen. Dies geschah sehr zum Leidwesen von Queen Mom, die ihn jetzt nicht mehr schicken konnte! Großer Gott!! Von nun an musste sie (sofern sie meiner nicht habhaft werden konnte) im Notfall die 30 Meter zum Metzger SELBER GEHEN (Google Maps). KRAISCH!!! Soo viel Elend!!!

Familie Mahd: Herr Mahd war Metzger, aber arbeitetet nicht in der Metzgerei, über der er wohnte. Das fanden wir schon als Kinder sehr verdächtig. Herr M.s Haare waren wohl nicht zu bändigen, deshalb versuchte er es gar nicht erst. Einen Ölwechsel hätten sie auch dringender nötig gehabt als irgendwas, was nicht lecker aussah. Später machte der Herr von sich reden, weil er sich bei kleineren Lebensmittel-Diebstählen in der Innenstadt hatte erwischen lassen, was den Tratschenden und Hetzenden in der Nachbarschaft Kaiserstunden mit Schaum vorm Maul bescherte. Frau Mahd war ein Breitmaulfrosch alter Schule. Wenn im Sommer die gesamte Familie M. (incl. des schurkischen Mike und der quäkenden Anja) den Balkon bevölkerte -- jede Minute davon war RTL II für die Nachbarschaft, lange, bevor es die Privaten überhaupt gab. Unterhaltung von Schwachköpfen für Schwachköpfe.

Familie Decker: hatte eine kleine Firma "Extrusionstechnik" in der Nachbarschaft. Niemand konnte sich so recht etwas darunter vorstellen, die Deckers vielleicht auch nicht, denn sie gingen nach einer Weile pleite. Queen Mom war der Meinung, dass die fahle Tochter der Deckers (sie hieß glaube ich "Talg") ein hochreizendes Geschöpf sei, welches als potentielle Schwiegertochter keinesfalls abgewiesen werden würde. Bruder und ich waren entgegengesetzter Meinung: wir simulierten hinter ihrem Rücken "Erbrechen".

Das Nicht-bürgerliche Lager:
Herr Gilch hatte zwei Dutzend Mal am Tag Besuch, der nicht mal fünf Minuten blieb. Verkaufte dieser Typ etwa Drogen? Vom merkwürdig eingefallenen Gesicht her hatte dieser Händler mit seltenen Substanzen schon öfter Rohrfrei geschnupft, als in einem ökologisch-dynamischen Haushalt eine Nasendusche zum Einsatz gekommen war. Mehrere Polizeirazzien incl. Drogenhunden sorgten vergeblich für Wirbel und wochenlang für Gesprächsstoff. Die völlig arglosen Vermieter des Herrn wurden von der sog. Nachbarschaft in Sippenhaft genommen und ebenso mit Acht & Bann belegt wie Rohrfreigesicht, der Dealer. Fair geht eben vor in der Nachbarschaft.
Familie Zeisig waren ein komplementäres Paar: Er war groß, hager bis zur Auszehrung mit eingefallener Brust und flammend rotem Haar, sie war klein, dick und straßenköterblond. Parterre wohnend und ohne Gardinen zeigten sie der ganzen Nachbarschaft bei Festbeleuchtung, wie viel Spaß man bei "Hasch mich, ich bin der Frühling" haben kann -- natürlich nackt. Gerade die, die seit 30 Jahren keinen Sex mehr gehabt hatten, redeten sich das Maul schaumig.
Frau Breitenstein war mit weit über 70 eine Quartalssäuferin wie sie im Buche stand. Sobald sie den Sozialamts-Scheck in Händen hielt, gab sie mal so richtig Kette. Die Heimkehr aus der Innenstadt, die gebrochene Reval ohne Filter auf der Lippe, verlief meist in einem Zustand forcierter Ungeordnetheit. Die Wocheneinkäufe, waren oft auf mehrere 100 Meter Nachhauseweg verteilt (wie die Trümmer eines gecrashten Flugzeugs), das Gebiss fand sich in der Regel auf dem Hof wieder - "oben" hier, "unten" da. Manchmal schlief sie auf der Gartentreppe. Frau Breitensteins Sohn, der Dauer-Alk, zog praktischerweise in das Männerwohnheim gegenüber vom EDEKA.
Männerwohnheim: Einst ein ehemaliges Kohlelager wurde es in eine Heimstatt sozial schwacher Männer ab Mitte 40 umgebaut. Jetzt wohnten hier Herren, deren erste Prioritäten nicht Körperpflege oder ein weltmännisches Auftreten waren. Oft kam es zu Schlägereien um die letzten Tropfen Spiritus oder weil jemand ins falsche Zimmer gekotzt hatte. Der Krankenwagen war ein oft gesehener Gast. Im Zuge solcher Konflikte hatte auch jemand den Sohn von Frau Breitenstein erschlagen. Die Polizei ermittelte und ermittelte, aber da quasi jeder der sturztrunkenen Bewohner infrage kam, sperrte man am Ende den ein, der den Stift halten konnte, um das Geständnis zu unterschreiben.

Der kleine 45 m²-EDEKA auf der anderen Straßenseite direkt neben der Post war das Zentrum allen Tratschs, hier liefen am Ende alle Fäden zusammen. Horst und Ulrike Jevers waren die NSA der Nachbarschaft, die Spinne im Netz. Im Grunde reichte es ihnen schon lange nicht mehr, nur zufällig Tratsch zugetragen zu bekommen. Nein, da, wo sie Wissenslücken hatten, begannen sie, ihre Kunden gezielt auszufragen. "Wie konnte Frau Heringer denn stürzen?", "Was soll Herr Mahd denn gestohlen haben?", "Warum stand gestern der Krankenwagen in Höhe der Hausnummer 141?"
Im Grunde waren alle Nachbarinnen hier Stammkunde, steuerten mit weit aufgerissenen Augen und von der Geschwindigkeit verschwommenen Mäulern die neuesten pikanten Details zu jedem noch so belanglosen Tratsch bei.
Wenn wir als Kinder von Muttern dort hin geschickt wurden, dann mussten wir uns allzeit einem peinlichen Verhör unterziehen. Widerstand war zwecklos: Man bekam einfach so lange seinen Kassenbon und das Wechselgeld nicht ausgehändigt, bis alle Fragen zur Zufriedenheit beantwortet waren. Ein Fegefeuer, nicht nur für Kinder, denn die beiden Jevers begannen auch nach guter, alter, christlicher Tradition manche ihrer Kunden aufgrund der Vielzahl unbestätigter Gerüchte wie Scheiße zu behandeln.
Zum Ausgleich gingen sie Sonntags in die Kirche.


Wann immer ich heute zum Haus meiner Mutter oder Tante komme, dann spüre ich die observierenden Blockwart-Blicke noch immer in meinem Nacken prickeln, obwohl fast niemand meiner ehemaligen Nachbarn noch am Leben ist.
Das Unwohlsein bleibt vermutlich für immer.



Siehe zu den "Jevers" auch: Blogbeitrag, mehr "Nachbarn": Blogbeitrag


Donnerstag, 2. Januar 2014

Medienschlacht um Schumacher


Michael Schumacher liegt im Krankenhaus im künstlichen Koma - gegen diese Information verblasst ja momentan medial gesehen wirklich alles!

Frage 1:
Verdient der Steuerflüchtling überhaupt unsere Aufmerksamkeit? Ist Schumacher, der für Italien/Ferrari fuhr und seit 1996 in der Schweiz in seiner 55-Zimmer-Luxusvilla lebt und dort seine Steuern zahlt, überhaupt noch als "Deutscher" zu bezeichnen? Dann hast der Vogel in den letzten rund 20 Jahren mindestens dreimal soviel Steuern hinterzogen wie uns Uli Hoeneß, der deswegen winselnd mit einem Bein im Knast steht (Link). Meiner Meinung nach hätte man dem Spatengesicht Schumacher nach dem Umzug ins Ausland die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen sollen. Wenn er lieber Schweizer ist: Grüezi! Doch wer weiterhin als Deutscher gelten will, sollte gefälligst auch HIER seine Steuern zahlen. Ich empfehle ernsthaft eine Gesetzesänderung.

Frage 2:
Wie lange geht der Krug zum Brunnen, bis er bricht? Der Vogel Schumacher litt ja quasi an so etwas wie "permanenter Dauerbeschleunigung": Kart, Formel König, Formel Ford und Formel 3, Formel 1, Motorradrennen, Testwagenfahren, Fallschirmspringen, Alpin-Ski (hier erschöpfend nachzulesen *gähn*) - irgendwie war es doch nur eine Frage der Zeit, dass er eines Tages mal mit der Birne irgendwo dranknallte.
So what?

Frage 3:  Wie geht es Schumacher? Sogenannte "Interessierte" hätten gerne wohl alle fünf Minuten eine Info, einen Ticker, wie es "Schumi" gerade geht. Schon jetzt blockierten sog. "Fans" und sog. "Journalisten" mehrfach die Krankenwagenzufahrten des Krankenhauses in Grenoble. Also: Schafft noch mehr Journalisten zu diesem Krankenhaus, viel, viel mehr! Was wir brauchen sind Menschenmassen, Wurstbuden und improvisierte Andenkenläden! Paparazzi sollten sich als Priester, Ärzte, Raumpfleger und Steueranwälte verkleiden und versuchen, Zugang zum Krankenzimmer zu bekommen und wenigstens ein paar Fotos des Bewußtlosen schießen - das ist seriöser Journalismus at it's best! Dann sollte man die Herz-Kreislaufmaschine von Schumacher online gehen lassen. So könnte man den Blutdruck und die Atemfrequenz des Komatösen in Echtzeit verfolgen. Durch zusätzliche Informationen wie den Tagesschau- oder SPON-Newsticker ("Stuhl von Schumacher wird als 'förmig' bezeichnet", "Schumacher: Harnsäurewert zu hoch") sollte man dann mit Gleichgesinnten ganz dufte über die Genesungsaussichten des F1-Weltmeisters diskutieren können.

Frage 4: Gehts noch?


Mehr Formel Eins: hier